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11. GWB-Novelle: Klauen wetzen und Zähne zeigen.

Hintergrund

Am 26. September 2022 veröffentlichte das Bundesministerium für Wirtschaft und Umwelt (BMWK) den Referentenentwurf zur 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Das GWB ist die zentrale Grundlage des deutschen Kartell- und Wettbewerbsrechts und dient der Erhaltung eines fairen und funktionierenden Wettbewerbs im Binnenmarkt. Es regelt insbesondere die lokale Anwendung der Artikel 101 und 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).

Erst vor kurzem, nämlich am 10. Januar 2022, wurde die 10. GWB-Novelle eingeführt und auch die 12. GWB-Novelle ist bereits in der Planung. Aktuell wird aber insbesondere der Referentenentwurf der 11. GWB-Novelle heiß diskutiert. [1]

Im Juni hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck als Reaktion auf die bedingte Wirksamkeit des Tankrabatts und der allgemeinen Empörung gegenüber der möglichen „Übergewinne“ gewisser Unternehmen im Energiesektor, eine Verschärfung des Kartellrechts angekündigt: „Wir machen ein Kartellrecht mit Klauen und Zähnen.“[2]

Der aktuell vorliegende Referentenentwurf soll dieses Ziel abbilden und stellt entsprechende Anpassungen am aktuellen Wettbewerbsrecht vor.[3] Der Entwurf basiert auf drei Säulen:

  • Stärkung der Sektoruntersuchung durch zeitliche Straffung und neue Befugnisse für das Bundeskartellamt (BKartA), insbesondere die Möglichkeit missbrauchsunabhängige Abhilfemaßnahmen aufzuerlegen,
  • Vereinfachung der Anwendbarkeit der Vorteilsabschöpfung durch die Senkung der Nachweisanforderungen hinsichtlich des konkret erlangten Vorteils und
  • Unterstützung der Durchsetzung des Digital Market Acts (DMA) auf nationaler Ebene, sowie Sicherung dessen privater Rechtsdurchsetzung.

Insbesondere die vorgeschlagenen Änderungen im Bereich der Sektoruntersuchungen, und die darin vorgesehenen neuen Eingriffsbefugnisse des BKartA, stellen einen Bruch zum aktuellen deutschen Wettbewerbsrecht dar, mit potenziell weitreichenden Konsequenzen für Unternehmen und Marktstrukturen. Die Möglichkeit missbrauchsunabhängige Abhilfemaßnahmen auferlegen zu können spricht dem BKartA wirtschaftspolitische Aufgaben zu, für die es bislang nicht zuständig war, und schürt Unsicherheit für Unternehmen. Dies kann sich negativ auf die Effizienz- und Innovationsziele letzterer auswirken und auch Deutschland für internationale Investitionen weniger attraktiv machen. Auch wenn die Motivation hinter den vorgeschlagenen Änderungen durchaus verständlich ist, bleibt es fraglich, ob sie die bestmögliche Antwort auf die zugrundeliegenden Probleme sind. Nicht umsonst wird dieses Thema aktuell heiß diskutiert und soll im Folgenden näher beleuchtet werden.

„Wir machen ein Kartellrecht mit Klauen und Zähnen.“
Dr Robert Habeck, Stellvertreter des Bundeskanzlers und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz

Einschätzung

Die im Referentenentwurf der 11. GWB-Novelle vorgeschlagene Stärkung der Sektoruntersuchung soll wie folgt implementiert werden:

  • Sektoruntersuchungen sollen auf einen Zeithorizont von maximal 18 Monaten beschränkt werden.[4]
  • Das BKartA soll ebenfalls in dem veröffentlichten Bericht wettbewerbspolitische Empfehlungen aussprechen können.[5]
  • Das BKartA soll nach abgeschlossener Sektoruntersuchung verhaltensbezogene oder strukturelle Maßnahmen auferlegen können.[6]

Grundsätzlich ist eine Stärkung der Sektoruntersuchung positiv zu bewerten. Dies betrifft insbesondere die Straffung des Zeitplans, da es in der Vergangenheit zum Teil zu besonders langen Verfahren gekommen ist, die bis zu fünf Jahre gedauert haben (siehe die im vergangenen Jahr publizierte Sektoruntersuchung zum Markt für Krankenhäuser).[7]

Besonders ratsam und notwendig ist eine Straffung des Untersuchungszeitraums in sich schnell weiterentwickelnden Märkten, wie z.B. den digitalen Märkten, um nicht Gefahr zu laufen, dass Untersuchungsergebnisse nicht mehr aktuell sind. In einen Zeitraum von 5 Jahren – was der Dauer der Sektoruntersuchung zu Krankhenhäusern entspricht – können sich Trends und Marktpositionen von Unternehmen im digitalen Sektor drastisch ändern. So erklärt das BKartA in seiner Sektoruntersuchung zu Online-Werbung: „Online-Werbung als Wirtschaftsbereich und als Teilbereich gerade der Internet-Wirtschaft entwickelt sich wie letztere in einem vergleichsweise hohen Tempo fort“.[8] “Technische Entwicklungen im Bereich AdTEch verlaufen vergleichsweise dynamisch" [9]: Zwischen 2013 und 2019 gab es rund fünf verschiedene Formen der Vermittlung im Bereich der Werbetechnologie. Auch wenn der digitale Sektor als besonders schnelllebig gilt, ist zu erwarten, dass sich viele andere Märkte ebenfalls in relativ kurzen Abständen weiterentwickeln.

Fraglich ist inwieweit das BKartA gezwungen sein wird, den Zeitdruck an die Unternehmen im untersuchten Sektor weiterzugeben. Ein gutes Zusammenspiel zwischen BKartA und Unternehmen ist für die Sektoruntersuchung ausschlaggebend, um die betroffenen Märkte bestmöglich verstehen und analysieren zu können. Sollten diese harte Deadlines bekommen und gegebenenfalls sogar Bußen, wenn sie sich nicht an diese halten, kann dies negative Anreize für Unternehmen schaffen, die sich zusätzlichem Aufwand und Kosten gegenüberstehen sehen. Zum einen kann dies dazu führen, dass Anfragen nicht sauber abgearbeitet werden (können), und zum anderen wird die Wahrscheinlichkeit von Fehlentscheidungen erhöht. Man könnte zwar argumentieren, dass dies bei Mergern nicht anders ist, allerdings wollen dort die Unternehmen den Zusammenschluss selbst und sind sich den damit einhergehenden Konsequenzen bewusst. Bei einer vom BkartA eingeleiteten Sektoruntersuchung ist das anders.

Zudem bleibt die Umsetzbarkeit der zeitlichen Straffung fraglich. Sektoruntersuchungen sind mit erheblichem koordinativem und operativem Aufwand verbunden, was sich nicht zuletzt in den zum Teil besonders langen Verfahren widergespiegelt. Um die zeitliche Straffung umzusetzen, ist mit erheblichem personellen Zusatzaufwand beim BKartA zu rechnen. Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf vor, den Verantwortungsbereich des BKartA unter anderem, um die Unterstützung bei der Durchsetzung des DMA zu erweitern.[10] Dies wird ebenfalls zur Steigerung der Arbeitsbelastung beisteuern. Um sowohl die zeitliche Straffung der Sektoruntersuchungen als auch die zusätzlichen Aufgaben erfolgreich zu meistern, muss der Mehrbedarf an Personalmitteln realistisch angepasst werden. Es wäre bedauerlich, wenn die Fristverlängerung bei Sektoruntersuchungen, die nur in Ausnahmefällen genutzt werden soll, die Regel wird, und somit jeglicher Verbesserungswille verpufft.

Die weitreichendste und wahrscheinlich kontroverseste Änderung ist die Einführung des §32f. In diesem werden dem BKartA neue Eingriffsbefugnisse eingeräumt, die dieses nach einer Sektoruntersuchung anwenden kann. Dabei handelt es sich um Abhilfemaßnahmen, die zur Verringerung oder Beseitigung einer in der Sektoruntersuchung festgestellten Wettbewerbsstörung, auf einem oder mehreren der untersuchten Märkte, dienen soll. Bislang beschränken sich die Befugnisse des BKartA – abgesehen von der Fusionskontrolle – auf die Feststellung und Sanktionierung von wettbewerbsrechtverletzendem Verhalten. In dem neuen Gesetzentwurf wird diese Befugnis auf Märkte erweitert, in denen kein konkreter Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht vorliegt. Missbrauchsunabhängige Abhilfemaßnahmen sollen dann durchsetzbar sein, wenn die Sektoruntersuchung eine „erhebliche, andauernde oder wiederholte Störung des Wettbewerbs“[11] auf dem untersuchten Markt aufdeckt.

Zu den im Gesetzentwurf genannten Abhilfemaßnahmen gehören sowohl strukturelle als auch verhaltensorientierte Maßnahmen. Diese inkludieren unter anderem das Einräumen von Nutzungsrechten an geistigem Eigentum, die Setzung gemeinsamer Normen und Standards oder auch die „Vorgabe zu bestimmten Vertragsformen“. [12] Als ultima ratio wird die Unternehmensentflechtung vorgesehen.

Da die Maßnahmen auch zum Teil sehr starke Eingriffe in die unternehmerischen Rechtspositionen und Freiheiten vorsehen, soll die Voraussetzung einer erheblichen, andauernden oder wiederholten Störung des Wettbewerbs die verhältnismäßige Anwendung der Maßnahmen gewährleisten. Hierfür werden diverse Kriterien definiert, anhand derer geprüft werden soll, ob eine entsprechende Störung des Wettbewerbs vorliegt. Hierzu gehören unter anderem Marktanteilsverhältnisse, Unternehmensverflechtungen und das Bestehen von Marktzutritts- oder Marktaustrittsbarrieren.

Die in §32f eingeführten Maßnahmen sollen auch auf bereits abgeschlossene Untersuchungen angewandt werden können, soweit diese bei der Einführung des Gesetzes weniger als ein Jahr alt sind.

Die Möglichkeit in Märkte und unternehmerische Rechtspositionen einzugreifen, ohne dass ein wettbewerbsrechtlicher Verstoß vorliegt, stellt unserer Meinung nach einen Paradigmenwechsel im deutschen Wettbewerbsrecht dar. Dem BKartA werden durch die 11. GWB-Novelle wirtschaftspolitische Aufgaben übertragen. Damit soll wohl gezielt gegen Sektoren und Märkte, die durch starke Marktkonzentration geprägt sind, wie zum Beispiel digitale Märkte, der Energiesektor oder ehemalig öffentliche Märkte (Bahn, Telekommunikation, Post etc.), vorgegangen werden. Insbesondere letztere sind in Deutschland bereits (stark) reguliert. De facto erlaubt die 11. GWB-Novelle eine sektorspezifische Regulierung unter dem Deckmantel von Kartellrecht.

Für die Regulierung von Märkten ist das Bundeskartellamt bislang zurecht nicht zuständig, da es sich um eine wirtschaftspolitische Entscheidung handelt und nicht um einen direkten Verstoß von Wettbewerbs-/Kartellrecht. Ob diese Trennung nun mit der 11. GWB-Novelle aufgeweicht werden sollte, ist fraglich.

Die vorgeschlagenen Änderungen sollen das klassische Prinzip von Wettbewerb, in dem sich viele Anbieter vielen Nachfragern gegenübersehen, stärken. Es muss jedoch zunächst klar sein, dass nicht alle Märkte nach diesem Prinzip funktionieren können oder gar sollten. Denn nicht immer bedeuten mehr Anbieter und Nachfrager einen effizienteren und besser funktionierenden Markt und eine höhere Konsumentenwohlfahrt. Dies lässt sich anhand folgender Beispiele verdeutlichen:

  • Die durch das Bundeskartellamt und der Deutschen Fußball Liga (DFL) in 2016 vereinbarte „No-Single-Buyer-Rule“ für Bundesliga-TV-Rechte zur Förderung von Innovationswettbewerb, hat dazu geführt, dass Fußball-Enthusiasten seit der Rechteperiode 2017/18 mehr als ein Pay-TV Abonnement abschließen müssen, um alle Bundesliga-Spiele schauen zu können. Dies hat zu einem erheblichen Anstieg der Kosten für individuelle Nutzer geführt. Beispielsweise ist der Grundpreis für das Sky Bundesliga-Abonnement von der Saison 2016/2017 auf die Saison 2017/2018 nicht gesunken, obwohl ein Teil der Spiele in der Saison 2017/2018 über den ebenfalls kostenpflichtigen Sender Eurosport 2 Xtra übertragen wurden.[13] Auch heute noch ist sowohl ein Sky- als auch ein DAZN-Abonnement notwendig, um alle Bundesliga Spiele zu verfolgen, hierfür sind zwischen 40-50 EUR monatlich nötig im Vergleich zu rund 20 EUR im Jahr 2016.
  • Insbesondere beim Thema Nachhaltigkeit, das die aktuelle Bundesregierung auch mit ihrer Agenda 2025 besonders vorantreiben möchte, kann Wettbewerb hemmend wirken. Die Umsetzung von nachhaltigen Projekten kann – zumindest teilweise – durch vermehrte Zusammenarbeit zwischen konkurrierenden Unternehmen gefördert werden, „um z. B. einen ‚First-Mover-Nachteil‘ zu kompensieren, eine kritische Masse zu erreichen oder aber schlicht Effizienzen durch die Entwicklung einer gemeinsamen Informationsbasis […] zu heben“. [14] Aus diesem Grund werden nicht zuletzt Überlegungen angestellt, Anpassungen am vorhandenen Wettbewerbsrecht vorzunehmen.

Bei der Anwendung des Rechts muss also immer fallspezifisch herangegangen werden. Ein „one-size fits all“-Vorgehen ist nicht möglich. Dessen scheint sich auch das BMWK bewusst zu sein, nicht umsonst werden die „zentrale[n] Kriterien“[15] zur Prüfung einer potenziellen Wettbewerbsstörung nicht detailliert erläutert, sondern sehr vage gehalten. Es ist zwar richtig und notwendig einen gewissen Spielraum bei den Kriterien und der Umsetzbarkeit der Gesetzgebung zu erlauben, um Wettbewerbseinschränkungen auf zum Teil sehr unterschiedlichen Märkten auf individueller Basis zu analysieren. Gleichzeitig zeigt diese nötige Flexibilität auch, dass es herausfordernd ist objektiv passende Kriterien festzulegen, anhand derer über Wettbewerbsstörungen entschieden wird. Es wird für Unternehmen schwierig sein abzusehen, welches rechtmäßige Verhalten potenziell wettbewerbsstörend ist. Mithin ist es sogar so, dass die Marktbedingungen den Wettbewerb stören und der „Fehler“ somit nicht bei Unternehmen selbst liegt.

Insgesamt entsteht ein hohes Maß an Unsicherheit bei den Unternehmen welches sicherlich mit Mehrkosten verbunden sein wird. Diese können dadurch entstehen, dass sich Compliance Abteilungen mit zusätzlichen Szenarien auseinandersetzen müssen. Auch bei der Einleitung von Untersuchungen werden weitere Kosten für die Unternehmen anfallen, da diese beweisen müssen, dass der Wettbewerb auf dem Markt nicht nachhaltig gestört ist.

Die Unsicherheit auf Seiten der Unternehmen wird ebenfalls dadurch geschürt, dass §32f vorsieht, dass das BKartA die Anmeldung von Fusionen in bestimmten Märkten auch unter der normalen Aufgriffsgrenze anordnen kann. Die Novelle soll damit ebenfalls einen Eingriff auf regional vermachteten Märkten ermöglichen, obgleich die Unternehmen nicht zwingend bundesweit eine große Rolle spielen.[16]

All diese Unsicherheiten können sich wiederum negativ auf lokale Investitionen auswirken und den Standort Deutschland insbesondere für international handelnde Unternehmen weniger attraktiv machen. Diese Einschätzung wird vor allem von Vertretern der Industrie geteilt, die das Schaffen struktureller Voraussetzungen für gesunden Wettbewerb ebenfalls bei der Politik und nicht der Kartellbehörde sehen.[17]

Auch, dass das BKartA rückwirkend Maßnahmen zu bereits vor dem Erlass der 11.GWB-Novelle abgeschlossenen Untersuchungen auferlegen kann ist besorgniserregend. Aus unserer Sicht müsste Unternehmen zumindest die Möglichkeit der Stellungnahme zu den potenziellen Maßnahmen eingeräumt werden. Idealerweise müssten diese Untersuchungen neu aufgerollt werden.

Besonders kritisch gesehen wird in den aktuellen Diskussionen der Eingriff in das Unternehmenseigentum in Form der Unternehmensentflechtung. Auch darin sehen Industrievertreter eine Fehlentscheidung, die dem Wettbewerbsstandort Deutschland stark schaden wird.[18]

Da es im Interesse der Industrievertreter liegt Unternehmen möglichst viel Freiraum zu gewähren und möglichst hohe Gewinne abzuschöpfen, muss diese Kritik allerdings mit etwas Abstand bewertet werden. Im Referentenentwurf wird deutlich, dass es sich bei der Entflechtung um einen letzten Lösungsweg handelt, der daher nur in den seltensten Fällen umgesetzt werden wird.

Klar ist, dass das GWB sich mit der 11. GWB-Novelle an das britische Modell annähert, was auch vom BMWK gewollt ist.[19] Die britische Wettbewerbsbehörde, die Competition and Markets Authority (CMA), hat schon seit Jahrzehnten Befugnisse, Abhilfemaßnahmen bis hin zur Unternehmensentflechtung vorzunehmen. Seit der Einführung dieser Befugnisse hat die CMA in einigen Sektoruntersuchungen Abhilfemaßnahmen angeordnet, unter anderem in dem Markt für den Lebensmitteleinzelhandel oder im Finanzbereich.[20] In zwei Fällen wurde eine Firmenentflechtung angeordnet: Im Jahr 2009 im Markt zur Bereitstellung von Flughafendienstleistungen und im Jahr 2014 im Zement-Markt. Ex-post Evaluierungen der von der CMA angeordneten Veräußerung von vier Flughäfen im Anschluss an die Sektoruntersuchung von 2009, durch die CMA und zwei unabhängigen Beratungen kommen zum Schluss, dass sich die Entflechtung positiv auf den Wettbewerb im betroffenen Markt ausgewirkt hat und „unter Berücksichtigung der Kosten der Entflechtung und des bisherigen Nutzens für Verbraucherinnen und Verbraucher verhältnismäßig war“[21].

Auch wenn das britische Modell die erfolgreiche Umsetzung einer weitgreifenden Gesetzgebung zeigt, bleibt unklar, ob ein ähnlicher Erfolg in Deutschland angenommen werden kann. Deutschland ist dafür bekannt Märkte stärker zu regulieren und grundsätzlich häufiger von markteingreifenden Maßnahmen Gebrauch zu machen.[22] Daher können Unternehmen in Deutschland trotz ähnlicher Gesetzgebung wie in den UK erwarten, dass die im Gesetzestext verankerten Befugnisse häufiger eingesetzt werden.

Auch die Anforderungen für das Einleiten einer Sektoruntersuchung ist für die CMA höher als für das Bundeskartellamt. In den UK ist Voraussetzung für die Untersuchung ein qualifizierter Anfangsverdacht für eine Wettbewerbsbeschränkung, der in der Regel mittels einer vorherigen Market Study ermittelt wird. Existiert ein hinreichender Verdacht und eine Market Investigation wird eingeleitet, kann die CMA weitere Maßnahmen erst dann ergreifen, wenn das Feststellen einer tatsächlichen Wettbewerbsbeeinträchtigung erfolgt.

Letztlich unterliegt das Einführen von Abhilfemaßnahmen in Großbritannien auch einem wohl definierten und ausgearbeitetem Prozess. Es werden zum Beispiel in den Leitlinien für Marktuntersuchungen[23] der CMA in Abschnitt 4 alle für die Untersuchung und Umsetzung von Abhilfemaßnahmen zugrundeliegenden Grundsätze und Voraussetzungen ausführlich beschrieben und dargelegt. Dort werden unter anderem der Rahmen zur Prüfung von Abhilfemaßnahmen, die Bewertung der Auswirkungen dieser, bis hin zur Einbindung der betroffenen Unternehmen geregelt. Im Vergleich hierzu wirkt der in der 11. GWB-Novelle eingeführte §32f unausgereift und unvollständig und trägt nicht dazu bei die Unsicherheit auf Seiten der Unternehmen zu senken.

Ob sich diese Befürchtung bewahrheitet und wie sich eine entsprechende Erwartung nennenswert auf die Innovationsanreize auswirkt, kann nur empirisch geprüft werden. Eine solche empirische Prüfung kann allerdings erst ex post, also nach einer erfolgreichen Durchsetzung des Gesetzestextes, beleuchtet werden.

Sollte der Entwurf in der vorliegenden Form umgesetzt werden, muss sich zudem darüber Gedanken gemacht werden, wie das BKartA für die auferlegten Abhilfemaßnahmen verantwortlich gehalten werden kann. Bislang fällt die Beurteilung der Anwendung wettbewerblicher Vorschiften in den Aufgabenbereich der Monopolkommission in Form des Hauptgutachtes, das alle zwei Jahre publiziert wird. Da durch die 11. GWB-Novelle dem BKartA weitreichende zusätzliche Befugnisse eingeräumt werden sollen, muss sichergestellt werden, dass die Verhältnismäßigkeit und Effizienz der zukünftig auferlegten Abhilfemaßnahmen gewährleistet wird. Über diesen Punkt wird jedoch bislang nur unzureichend diskutiert.

Fazit

Das Ziel der 11. GWB-Novelle ist durchaus ein Verständliches: Implizite Kollusion, Preisfolgerschaften und asymmetrische Information sind nur ein Teil der Faktoren, die Wettbewerb anhaltend stören, gegen die das Kartellrecht jedoch aktuell nicht durchgreifen kann. Da diese adversen Verhaltensweisen weiterhin weitestgehend ungestört stattfinden können, soll die 11. GWB-Novelle als Instrument dienen, um diese Verhaltensweisen entsprechend einzuschränken. Dieses Instrument sollte jedoch möglichst klar definierten Bedingungen und einem gut ausgearbeiteten Prozess unterliegen, in den alle betroffenen Parteien eingebunden werden, um jeglichen Anreizrückgang für Innovation/Investitionen zu verhindern.

So wie die 11. GWB-Novelle aktuell entworfen wurde, können künftig unternehmensinternes Wachstum, Effizienz und rechtskonformer wirtschaftlicher Erfolg Anlass für strukturelle und verhaltensbasierte Eingriffe und Vorgaben sein. Dies kann rechtmäßiges internes Wachstum bestrafen und somit Unternehmen davon abhalten Effizienz- und Innovationsziele umzusetzen.

Das GWB setzt als Grundsatz voraus, dass die für die Wirtschaft und das gesunde Marktgeschehen essenzielle Anreize, wie z.B. die Innovationsfreiheit und die Möglichkeit Gewinne abzuschöpfen, weiterhin bestehen bleiben.[24] Zumindest aus theoretischer Sicht bleiben Bedenken, dass dies so in Zukunft weiterhin gewährleistet werden kann.

Es ist das Fehlen eines objektiv umsetzbaren Maßstabs und zugrundeliegender Voraussetzungen, dass die Unsicherheit bei Unternehmen schürt und je nach Umsetzung auch zu weitreichenden negativen Folgen führen kann, die möglichst vermieden werden sollten. Es wird aber bislang zu wenig auf die potenziellen negativen Auswirkungen eingegangen und zu wenig Klarheit für Unternehmen geschaffen.

Es bleibt die Frage, ob die vermehrt wirtschaftspolitische Ausrichtung des BKartA wirklich eine Lösung für die zugrundeliegenden Probleme ist und ob die GWB-Novelle, die sich selbst gesetzten Ziele in der aktuellen Form erfüllen kann.

Vor lauter Aufregung um die 11. GWB-Novelle darf nicht vergessen werden, dass die Kernkompetenz des BKartA weiterhin in der Verfolgung und Sanktionierung von Wettbewerbsverstößen liegt. Nach einer erfolgreich durchgeführten Sektoruntersuchung wird sich das BKartA beispielsweise zwischen der Möglichkeit ein Verfahren wegen eines möglichen Wettbewerbsverstoßes einzuleiten, wirtschaftspolitische Empfehlungen an die Regierung auszusprechen oder direkt eigenmächtig verhaltensorientierte oder strukturelle Maßnahmen aufzuerlegen, entscheiden müssen. In Zukunft sollten diese Handlungsmöglichkeiten des BKartA dezidiert in Erwägung gezogen und gegeneinander abgewogen werden. Dabei sollte immer auch berücksichtigt werden, welche Signale an Unternehmen gesendet und welche Anreize dadurch gesetzt werden.

Insgesamt sollte jedenfalls gut durchdacht werden, ob und wenn ja, wie die präsentierten Vorschläge in den finalen Gesetzestext eingebettet werden. Inwieweit dies vor dem Hintergrund des sportlich gewählten Zeitraums bis zur Umsetzung möglich ist, bleibt allerdings fraglich. Sicher ist, es wird sich um einen Kraftakt für das BKartA handeln, zu dem man nur sagen kann: Viel Erfolg!

Any opinions expressed in this communication are personal and are not attributable to Competition economists Group.

[1] So etwa Käseberg (2022) und Stellungnahmen der Verbände, verfügbar unter: https://www.bmwk.de/Navigation/DE/Service/Stellungnahmen/Verscharfung-des-Wettbewerbsrechts/wettbewerbsrechts.html.
[2] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/habeck-tankrabatt-kartellrecht-105.html, abgerufen am 15.11.2022.
[3] Vgl. Referentenentwurf 11. GWB-Novelle (2022).
[4] Vgl. Referentenentwurf 11. GWB-Novelle (2022), Paragraf 32e, Absatz 3.
[5] Vgl. Referentenentwurf 11. GWB-Novelle (2022), Paragraf 32e, Absatz 4.
[6] Vgl. Referentenentwurf 11. GWB-Novelle (2022), Paragraf 32f.
[7] https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Sektoruntersuchungen/Sektoruntersuchung_Krankenhaeuser.pdf?__blob=publicationFile&v=3, abgerufen am 15.11.2022.
[8] Sektoruntersuchung Online-Werbung, Rn. 428. https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Sektoruntersuchungen/Sektoruntersuchung_Online_Werbung_Diskussionsbericht_lang.pdf;jsessionid=D6DB8CD0F46FD44E87CB65185651976F.1_cid387?__blob=publicationFile&v=4, abgerufen am 15.11.2022.
[9] Sektoruntersuchung Online-Werbung, Rn. 438. https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Sektoruntersuchungen/Sektoruntersuchung_Online_Werbung_Diskussionsbericht_lang.pdf;jsessionid=D6DB8CD0F46FD44E87CB65185651976F.1_cid387?__blob=publicationFile&v=4, abgerufen am 15.11.2022.
[10] Vgl. Referentenentwurf 11. GWB-Novelle (2022), Paragraf 32g.
[11] Referentenentwurf 11. GWB-Novelle (2022), Paragraf 32f, Absatz 3.
[12] Referentenentwurf 11. GWB-Novelle (2022), Paragraf 32f, Absatz 3, Nummer 6.
[13] https://www.quotenmeter.de/n/93543/die-no-single-buyer-rule-bundesliga-vermarktung-gestern-heute-und-morgen und https://www.sky-angebote.info/sky-preisentwicklung/, abgerufen am 15.11.2022.
[14] Inderst (2022), S. 338-339.
[15] Referentenentwurf 11. GWB-Novelle (2022), S.15.
[16] Vgl. Referentenentwurf 11. GWB-Novelle (2022), S.14.
[17] So etwa BDI (2022).
[18] Vgl. Stellungnahme BDI (2022), S. 5.
[19] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Meldung/2022/20220920-bmwk-legt-entwurf-zur-verscharfung-des-wettbewerbsrechts-vor.html, abgerufen am 15.11.2022.
[20] https://www.gov.uk/cma-cases?outcome_type%5B%5D=markets-phase-2-adverse-effect-on-competition-leading-to-remedies, abgerufen am 15.11.2022.
[21] Monopolkommission (2022), Para 379.
[22] So etwa im Energiesektor, siehe Wang, Moreno-Casas und Huerta de Soto (2021).
[23] https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/284390/cc3_revised.pdf, abgerufen am 15.11.2022.
[24] Vgl. Referentenentwurf 11. GWB-Novelle (2022), S.12.

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